PROTECTOR & WIK Forum Zutrittskontrolle 2017: Mechanik trifft Netzwerk

Zutrittssysteme sind in der Praxis oft reichlich komplex und individuell. Die Anlagen umfassen mechanische, mechatronische, elektronische und digitale Komponenten. Diese zum Nutzen des Kunden in Einklang zu bringen ist nicht selten eine Herausforderung.

Moderator Volker Kraiss läutet die erste Runde der Diskussion mit einem Fragenkatalog ein: „Was bedeutet: Mechanik trifft Netzwerk? Wie soll man mit den vielen mechanischen Schließanlagen umgehen und das besonders vor dem Hintergrund von Investitionsschutz und Zukunftsfähigkeit? Wie können Bestandsanlagen sinnvoll in ein modernes Zutrittssystem beziehungsweise Zutrittsmanagement integriert werden? Welche Hindernisse tun sich dabei auf? Haben mechanische Schließanlagen überhaupt noch eine Existenzberechtigung?“

Für Johann Notbauer von Evva Sicherheitstechnologie ist die Integration – auch von mechanischen Anlagen – kein Problem: „Wir stellen seit fast 100 Jahren mechanische Schließanlagen her und wir beantworten die Frage nach der Integrationsfähigkeit natürlich mit einen klaren Ja. Es ist kein Problem, denn man kann aus den mechanischen Bestandsanlagen Schritt für Schritt etwas entwickeln. Man kann damit beginnen, die Außenhaut elektronisch abzusichern oder besonders sensible Bereiche mit elektronischen Komponenten auszustatten. Man kann Online- oder Offline-Systeme nach und nach ergänzen. Es bieten sich für manche Szenarien auch Hybrid-Zylinder an. Generell verbindet ein Kombischlüssel die mechanische und elektronische Welt einfach und formschön. Man darf nicht außer Acht lassen, dass die Basis einer mechanischen Installation große Vorteile hat in Bezug auf Wartungsaufwand und nur relativ geringer Investitionen bedarf.“

Heterogene Situation

Dietmar Vetten vom Errichterbetrieb GST Gesellschaft für Sicherheitstechnik beschreibt eine recht zwiespältige Situation auf Seiten einiger Anwender: „Wenn es darum geht, mechanische Bestandsanlagen in eine moderne Zutrittskontrolle zu integrieren, muss man auch die Verantwortlichkeiten beim Kunden bedenken. Vor 15 Jahren haben wir beim Thema Zutrittskontrolle noch mit dem Hausmeister oder der Haustechnik gesprochen, weil Schließanlagen in deren Ressort fielen. Doch dann haben wir angefangen, immer öfter mit der IT zu sprechen, weil die ersten Web-basierten Online-Systeme auf den Markt kamen. Der Trend hat sich dann mit dem vermehrten Einsatz von mechatronischen Zylindern wieder etwas umgekehrt, so dass wir auch wieder mit der Haustechnik sprechen. Die Krux ist, dass man bei einer modernen Lösung auch wissen sollte, wie eine Zutrittskarte zu beschreiben ist, wie man verschlüsselt und einiges mehr. Da mangelt es aber noch etwas.“

Florian Lasch von Abus Security-Center meint: „Alle Zutrittskontrollsysteme von Abus sind auf das Know-how der Endanwender sowie der klassischen Installateure, Errichter und Schlüsseldienste abgestimmt. Weiter bieten wir in unserer Abus Academy regelmäßig Schulungen im Bereich Zutrittskontrolle an, um beim Endkunden ein perfekte Beratung und Installation zu gewährleisten.“

Vielfalt der Optionen

Volker Brink von Winkhaus meint: „Gerade wenn wir über die Anbindung einer mechanischen Bestandsanlage an eine elektronische Zutrittskontroll- oder Zutrittsorganisationsanlage sprechen, reden wir in der Regel auch über einen zumindest teilweisen Ersatz. Denkbar ist beispielsweise ein Konzept zur elektronischen Außenhautabsicherung, bei Winkhaus meist in Kombination mit Schlüsseln, indem man das Identmedium als Tag mit in den mechanischen Schlüsselkopf aufgenommen wird. Oder nehmen wir die Einbindung von Offline-Komponenten, die mit virtueller Vernetzung Vorteile der Offline- und Online-Welten kombinieren, denn über das Identmedium selbst können Transaktionen und Schließereignisse in Türkomponenten wie Schließzylinder, Leser oder Elektronikzylinder getragen werden. Die Vielfalt der Möglichkeiten bei der Aufrüstung von Bestandssystemen ist enorm.“

Manfred Golfels von PCS Systemtechnik beschreibt die Sicht von der anderen Seite: „Wir kommen ursprünglich aus der Online-Zutrittskontrolle und der Zeiterfassung, haben aber schon 2004 begonnen, uns gegenüber der Offline-Welt zu öffnen, so dass man die gleichen Zutrittskarten auch an einem Zylinder oder Beschlag mit Leser nutzen kann. Das ergänzt dann die Online-Zutrittskontrolle. Bei unseren Projekten zählt immer die Gesamtlösung, die die Bedürfnisse und Gegebenheiten der jeweiligen Anwender berücksichtigt.“

Dass man sich an die individuellen Gegebenheit anpassen muss, findet auch Torsten Meister von Touchless Biometric Systems: „Die Mechanik im Bestand ist natürlich ein Thema, mit dem wir ebenfalls des öfteren in der Praxis konfrontiert werden. Wir sehen das naturgemäß aus Biometriesicht und im Regelfall ist ein Türcontroller bereits vorhanden, an den wir uns über verschiedene Interfaces anbinden. Aktuell intensivieren wir unsere Anstrengungen, eigene Lösungen zu schaffen, die die Türsteuerung direkt mit beinhalten. Eine direkte Anbindung unserer Geräte an zum Beispiel mechatronische Zylinder kann gerade für kleinere Projekte aus Kundensicht sehr sinnvoll sein.“

Aufrüstung nach Maß

Die Wege zur Modernisierung von Bestandssystemen sind also vielfältig und von mehreren Faktoren abhängig. Konzeptionell auf einen Nenner bringen lassen sie sich mit einem grundsätzlichen Vorgehen, wie es Wilfried Joswig vom Verband für Sicherheitstechnik skizziert: „Ich glaube, dass im Bereich der Sicherheitstechnik, und damit auch beim Zutrittsmanagement, ein Sinneswandel stattfinden muss. Sei ein System nun schwerpunktmäßig mechanisch oder elektronisch, eine integrierte Lösung oder nicht, sie sollte heutzutage die Betriebsabläufe in einem Unternehmen unterstützen, oder aber diese zumindest nicht behindern. Betriebsprozesse und Sicherheit sind in Einklang zu bringen, so dass nichts unter der Sicherheit leidet. Das beeinflusst auch die Frage, wie man mit Bestandsanlagen umgeht. Heute ist meist eine Gesamtlösung gefordert. Es ist aber eine große Entscheidung, alles komplett neu zu installieren, da das mit enormen finanziellen Investitionen verbunden ist. Ob sich das lohnt, muss man sich im Einzelfall anschauen.“

Dass hierbei eine kompetente Beratung nicht fehlen darf, glaubt Stefan Wendel von FSB: „Wir bewegen uns in dem klassischen Projektgeschäft in einem dynamischen Markt, der sehr anspruchsvoll ist. Wir sehen unsere Stärke in Beschlaglösungen. Entscheidend ist bei dem vielfältigen Angebot von heute, dass man den Nutzer führt. Er sieht 30 Anbieter und ist ohnmächtig angesichts der Möglichkeiten. Hier wäre es schon sinnvoll, dass ein Berater oder Planer die ganzen Abläufe analysiert und überlegt, wie man die Prozesse auch in der Zutrittskontrolle abbilden kann.“

Machbar oder nicht?

Dass die Situation in der Praxis auch ganz anders aussehen kann, vor allem, wenn mechanischer Bestand integriert werden soll, berichtet Dietmar Vetten: „Wir erleben es immer wieder, dass beispielsweise Schlüsseldienste, die traditionell Projekte in Krankenhäusern bedient haben, und dort seit 30 Jahren die Schließanlage betreuen, bei der Frage nach einer Erweiterung um Elektronik sagen, das sei überhaupt kein Problem. Aber dann kommt der Tag, an dem man tatsächlich diese Anlage installieren muss und der Schlüsseldienst merkt, dass er unter anderem die bestehenden Karten, die schon für die Kantine genutzt werden, nicht weiter verwenden kann. Das macht die Aufrüstung für den Anwender in der Folge komplizierter und teurer.“

Dem kann auch Volker Kraiss, selbst Berater für Sicherheitstechnik, nur zustimmen: „Bei der Migration einer mechanischen Schließanlage auf ein elektronisches Schließsystem müssen die Rahmenanforderungen – gerade vor dem Hintergrund vorhandener Ausweise und Transpondertechnologien – genau ausgelotet werden. Der Einsatz eines elektronischen Schließsystems, vielleicht auch noch in Verbindung mit einer bestehenden mechanischen Schließanlage, kann sehr komplex sein. Wer sich also auf diesen Weg begibt, sollte umsichtig recherchieren und mit Hilfe eines Machbarkeitskonzeptes Ziele, Auswirkungen und Umsetzung festlegen und beschreiben.“

Volker Brink ergänzt: „Bei größeren Objekten wie in Kliniken oder öffentlichen Verwaltungen ist eine Anforderungsaufnahme ratsam. Bei einer Vielzahl an Anforderungen oder der Notwendigkeit der gewerkeübergreifenden Gesamtkonzeption macht sich ein Planer oder Errichter schnell bezahlt, der die Lösungen mehrerer Anbieter kennt und mit diesen zusammenarbeitet. Danach erst sollten die Gespräche mit unterschiedlichen Anbietern stattfinden, um bei diesen die Erfüllbarkeit von Anforderungen abzuprüfen und weniger ein Schaulaufen der verschiedenen Anbieter zu veranstalten. So lassen sich die Anforderungen am besten härten und die Lösungen miteinander vergleichen, damit letztlich Ausschreibungsunterlagen erstellt werden können.“

Dr. Leopold Gallner von Ekey Biometric Systems rät dazu, sich schon im Vorfeld besser zu informieren, damit es weniger enttäuschte Anwender gibt: „Es gibt extrem viele Kunden, die bestehende Anlagen aus irgendeinem Grund elektrifizieren wollen, in unserem Fall natürlich in erster Linie mittels Fingerprint-Lösungen. Und wir stellen fest, dass viele Anwender zu uns kommen, die erst vor kurzem ein System gekauft oder aufgerüstet haben und dabei falsch beraten worden sind. Ich sehe also die Notwendigkeit, noch viel stärker über die elektronische Zutrittswelt zu informieren und zu beraten. Auch der Fachhandel muss, wenn er von der reinen Mechanik weggeht und zusätzlich Elektronik verkauft, ein solides Know-how-Fundament haben.“

Michel Gückel

Den Original-Artikel finden Sie bei sicherheit.info.